04/02/2020
Es ist ein knallhartes Geschäft im Rotlichtmilieu. So werben an der Zürcher Lustmeile – der Langstrasse – Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern um ihre Freier. Doch viele machen das nicht freiwillig. Am Dienstag stand ein rumänisches Paar vor Gericht, weil es eine Landsfrau mit brutalen Mitteln zur Prostitution gezwungen haben soll.
Sie kam als Touristin in die Schweiz, ohne festen Wohnsitz und ohne Sicherheiten. Die 27-jährige Marina* hatte in der Vergangenheit schon mehrfach als Prostituierte gearbeitet. Doch im Januar 2017 geriet sie an der Zürcher Langstrasse in die Fänge eines Zuhälter-Pärchens, das sie schamlos ausnützte. Es ging so weit, dass die junge Frau um ihr Leben fürchtete.
Dabei hatte Marina zunächst Hilfe gesucht. Sie wollte sich von einem ersten Zuhälter lösen, der sie schlug. Marina einigte sich deshalb mit der Frau des Paares darauf, dass sie für deren Schutz 50 Prozent ihrer Einnahmen abgebe. Doch es sollte anders kommen: Oana* (41) und ihrem Freund Lucian* (40) reichte die Hälfte nicht. Sie wollten das ganze Geld und sie wollten Marinas Einnahmen noch steigern.
Um das zu erreichen, wurde die junge Frau massiv unter Druck gesetzt. Ihr wurde vorgeschrieben, wie sie sich kleiden sollte, wie lange sie Pausen machen durfte und sie musste in einem Zimmer an der Langstrasse täglich bis zu 15 Freier bedienen.
Es wurde auch nicht davor zurückgeschreckt, die Gesundheit der Rumänin zu gefährden. So zwang die Frau Marina den Geschlechtsverkehr bereits für 20 Franken anzubieten – und das auch noch ungeschützt. Marina stand die ganze Zeit unter Beobachtung. Verhielt sie sich nicht wie gewünscht, wurde sie geschlagen.
Ende Februar 2017 wagte die Frau die Flucht. Sie tauchte unter, nachdem ihr das Paar rund 10’000 Franken abgeknöpft hatte. Per SMS bedrängten sie ihre Peiniger aber weiter. Gemäss Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität schrieb Lucian seinem Opfer: «Verdammtes Miststück… in den nächsten Tagen finde ich dich… du hast dich mit dem Teufel angelegt… wenn ich dich finde, wirst du es bereuen, dass du geboren wurdest.»
Doch dazu kam es nicht. Die Polizei verhaftete Oana und Lucian im vergangenen September. Nun mussten sich die beiden wegen «Förderung der Prostitution» verantworten. So steht unter Artikel 195 des Schweizerischen Strafgesetzbuches: «Mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer die Handlungsfreiheit einer Person, die Prostitution betreibt, dadurch beeinträchtigt, dass er sie bei dieser Tätigkeit überwacht oder Ort, Zeit, Ausmass oder andere Umstände der Prostitution bestimmt.»
Und Marinas Fall ist längst keine Ausnahme. Zuhälter tauchen im Schweizer Sexgewerbe immer wieder auf. Das zeigt der Blick in die polizeiliche KriminaIstatistik. Tatsächlich hat die Zahl der Fälle, die zur Anklage gebracht werden, seit 2013 zugenommen.
Rebecca Angelini, Mediensprecherin der Zürcher Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ hat bei ihrer Arbeit mit den Auswirkungen der Ausbeutung zu tun. Ihre Erfahrung zeigt: «Betroffene Frauen kommen häufig aus osteuropäischen Staaten. Vor allem aus Ungarn, Rumänien oder Bulgarien», erklärt sie. «Andere wichtige Herkunftsländer von Opfern von Frauenhandel sind Thailand, Brasilien, Nigeria oder anderen westafrikanischen Ländern.»
Bezüglich Prostitution hat sich in den letzten Jahren in Zürich einiges verändert. Der berühmt-berüchtigte Strassenstrich am Sihlquai ist verschwunden, dafür gibt es jetzt sogenannte Verrichtungsboxen. Hat sich die Lage im Rotlichtmilieu dadurch etwas entspannt? «Für Frauen, die in den Boxen arbeiten, hat sich die Lage sicher verbessert», so Angelini. «Sie können unter deutlich sichereren Bedingungen arbeiten.»
In den Boxen zu arbeiten, heisst aber auch kontrolliert und registriert zu werden. Und genau das kommt für einen grossen Teil der Frauen nicht in Frage. Zum einen, weil sie die behördlichen Auflagen nicht erfüllen können, zum anderen weil sie sich vor dem Stigma fürchten. «In Zürich wird es für Sexarbeiterinnen immer schwieriger legal zu arbeiten. Die administrativen Hürden sind einfach zu hoch», sagt Angelini. «Das gilt insbesondere für die Salon-Prostitution. Hier müssen wir sogar von einem richtigen Kleinsalon-Sterben sprechen.»
Angelini fordert deshalb ausreichend legale Arbeitsmöglichkeiten. Nur so können die Frauen wieder aus der gefährlichen Illegalität herausgeholt werden. «Es ist für uns unverständlich, dass es an der Langstrasse, dem traditionellen Rotlichtviertel der Stadt, keinen erlaubten Strassenstrich gibt», sagt sie. «Zumindest auf einem Strassenabschnitt sollte das doch möglich sein.»
Richtig bedenklich findet Angelini, dass die Preise für Sex-Dienstleistungen immer weiter sinken. «Preise unter 100 Franken sind einfach nicht angemessen», sagt sie. «Hier nehme ich die Freier in die Verantwortung. Wenn sie die Dienstleistung für 20 Franken in Anspruch nehmen, müssen sie sich wirklich fragen, zu welchen Bedingungen die Frau das jetzt genau macht und ob es ihr dabei wirklich gut geht.»
Ob es Marina bei ihrer Arbeit gut ging, darüber haben sich Oana und Lucian tatsächlich keine Gedanken gemacht. Vor dem Bezirksgericht Zürich bestritten beide die ihnen vorgeworfenen Straftaten, die «Förderung der Prostitution», die «versuchte Erpressung»und die «versuchte Nötigung». Das Paar, das seit September in Haft sitzt, sieht sich stattdessen als Opfer einer Verschwörung. «Ich habe ihr ein Mobiltelefon und Kleider ausgeliehen. Sie schuldet uns Geld und nicht wir ihr», sagte Oana.
Während der Verhandlung präsentierte die Staatsanwaltschaft Beweismittel, die darlegten, dass das Paar seit längerem als Zuhälter-Paar arbeitete. Oana habe das Opfer unter Druck gesetzt, Lucian im Hintergrund die Fäden gezogen. So hatte es der Beschuldigte selber in einem Chat seines Facebook-Accounts geschrieben. Die Anklage forderte deshalb einen Schuldspruch.
Doch das Bezirksgericht Zürich folgte dem Antrag nicht ganz. Es sei Lucian nicht stichhaltig nachzuweisen, dass er im Hintergrund effektiv die Fäden zog. Deshalb sprach das Gericht ihn vom Vorwurf bezüglich der «Förderung der Prostitution» frei. Wegen dem SMS gab es aber bei der Nötigung einen Schuldspruch. Ganz anders sah es für Oana aus. Das Gericht sprach sie schuldig bei Marina als Zuhälterin fungiert zu haben. «Die Geschädigte wurde unter sklavenähnlichen Zuständen gehalten. Hier handelt es sich um ein erhebliches Tatverschulden», sagte die Richterin. Sie erhörte die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe von 12 Monaten deshalb auf 15 Monate bedingt.
* Namen von der Redaktion geändert